TREIBEN AUF DEM GROSSEN SEE DES NICHTWISSENS: DER ISOLATIONSTANK
Im letzten Kapitel ging es darum, wie eine gleichbleibende Umgebung oder ein gleichbleibender Reiz einen Menschen dazu bringen kann, ein Abschalten beziehungsweise ein <Blankout> der Außenwelt zu erleben - verbunden mit allen möglichen positiven Nebenwirkungen. Der wachsame Leser wird sich da vielleicht gefragt haben: Warum diese ganzen Prozeduren, um einen nichtveränderlichen Reiz oder ein Ganzfeld zu erzeugen, um eine bestimmte Eigenart des Zentralnervensystems auszunutzen. Warum läßt man nicht diese Zwischenschritte aus und versetzt den Menschen von vornherein in ein totales Blankout?
Die Antwort lautet: Solch ein Blankout-Gerät gibt es. Es ist als Isolationstank (englisch: «flotation tank») bekannt und hat sich nicht nur als enorm wirksames Instrument zur Verbesserung mentaler Funktionen bewährt, sondern ist auch von allen in diesem Buch erwähnten Geräten dasjenige, das am intensivsten erforscht, am besten dokumentiert und am häufigsten in Gebrauch ist.
DER UNGLAUBLICHE FALL DES VERSCHWUNDENEN KÖRPERS
Moderne Isolationstanks bedienen sich zwar hochentwickelter Technologie, funktionieren aber im Grunde ganz einfach. Der Tank ist im wesentlichen ein geschlossener Behälter von der Größe eines waagerecht liegenden Kleiderschrankes. Das Behältnis birgt einen seichten Warmwasserteich (Tiefe: etwa fünfundzwanzig Zentimeter), in dem etwa 350 Kilogramm Epsomer Salz aufgelöst sind. Auf diese Weise entsteht eine hochgesättigte Lösung, die weit mehr Auftrieb bewirkt als das Tote Meer oder der Große Salzsee. Wer sich in dieses Wasser legt, schwimmt oben wie ein Korken. Bei geschlossener Tür ist es im Innern des Tanks vollkommmen dunkel. Das vollständige Fehlen äußerer visueller Reize erleben die meisten von uns im Alltagsleben niemals - da wir selbst in den dunkelsten Räumen oder in der dunkelsten Nacht bei fest geschlossenen Augen immer noch etwas Licht aus der Umgebung wahrnehmen. Im Tank ist es nicht mehr möglich zu beurteilen, ob die Augen offen oder geschlossen sind. Man befindet sich also sofort in einem visuellen Blankout.
Da die Ohren unter Wasser liegen und mit Stöpseln verschlossen sind, kommt es außerdem zu einem fast vollkommenen Fehlen von äußeren Geräuschen. Auch zu dieser Erfahrung gibt es kein Gegenstück im Alltagsleben. Durch dieses Abschalten von visuellen Eindrücken und Geräuschen erzeugt der Isolationstank einen BlankoutEffekt, der dem des gleichbleibenden Ganzfelds und rosa Rauschens beim Tranquilite gleichkommt. Der Tank aber geht noch weiter, indem er auch die Reize einschränkt, die die anderen Sinnesorgane erreichen. Das Wasser im Tank wird konstant auf einer Temperatur von 34 Grad Celsius gehalten, was der Körpertemperatur an der Hautoberfläche entspricht - man fühlt weder Wärme noch Kälte, alsbald verliert man jede Wahrnehmung für die Trennlinie zwischen Haut und Wasser, die Grenzen des Körpers scheinen sich aufzulösen. Dabei wird ein Blankout der Sinne für Berührung, Druck, Reibung und andere Hautwahrnehmungen erzeugt.
Noch eine weitere Sinneswahrnehmung wird durch das Schweben auf dem Wasser ausgeschaltet: der ewig gegenwärtige Druck der Schwerkraft. Dazu der Erfinder des Tanks, der Neurophysiologe John Lilly: «Man ist von der Schwerkraft befreit. Der ganze Kampf mit der Schwerkraft, dem man den ganzen Tag über ausgesetzt ist, ist nicht mehr da. Etwa neunzig Prozent der neuralen Aktivität sind immer damit beschäftigt zu beurteilen, wo die Schwerkraft ist, in welcher Richtung sie wirkt, wie man sich bewegen kann, ohne zu fallen. Sobald man sich auf dem Wasser treiben läßt, ist man von all diesen ständigen Schwerkraftberechnungen befreit. Plötzlich hat man einen riesigen Apparat von Werkzeugen in der Hand, der bisher zu anderen Zwecken verwendet wurde, und man kann etwas Neues zum eigenen Nutzen damit anfangen. . . Es ist, als ob man irgendwo zwischen Mond und 'Erde treibt; nichts zieht an einem. Sobald man sich bewegt, weiß man natürlich, wo man ist. Bewegt man sich aber nicht, dann verschwindet die Umgebung, und sogar der Körper kann dabei verschwinden. » [203] ' Der Tank erreicht mit technischen Mitteln ein rasches, leichtes, zuverlässiges und ungefährliches Abschalten der Sinne. Einen Zustand, den all die Meditationstechniken wie Zählen der Atemzüge, Chanting, Wiederholen von Mantras und auf einen Punkt Starren erstreben, aber kaum einmal erreichen. Selbst Tankneulinge finden sich innerhalb von Minuten gewichtslos schwebend, körperlos, in einer schwarzen, stillen Leere wieder.
Von Meditationstechniken gibt es so viele mit so vielen Variablen, daß man sie nur schwer zum Gegenstand großangelegter, objektiver, kontrollierter und wiederholbarer wissenschaftlicher Untersuchungen machen kann. Der Isolationstank hingegen ist eine kontrollierbare und gleichbleibende Umgebung, die sich ideal zur wissenschaftlichen Forschung eignet. Wenn man versucht, Informationen über Meditation zu gewinnen, muß man häufig Gruppen von Personen, die sich bestimmten Meditationstechniken widmen, mit Kontrollgruppen vergleichen, in denen die Menschen (normalerweise) einfach ruhig dasitzen. Doch, wie wir gesehen haben, ist es oft schwer zu beurteilen, ob ein Mensch während der Meditation einen wirklich meditativen Zustand erreicht. Bei Verwendung des Tanks jedoch kann es keinen Zweifel daran geben, wer drin ist und wer nicht. Deshalb liefert der Isolationstank genau das, was jedem Wissenschaftler so ans Herz gewachsen ist - harte Daten, wertfreie Statistiken, wiederholbare objektive Studien. In der Folge hat es in den letzten Jahren einen Boom von Isolationstank-Forschungen gegeben. An der Funktion des menschlichen Geistes interessierte Wissenschaftler haben sich in großer Zahl damit beschäftigt - darunter kognitive Psychologen, Neuroendokrinologen, Pädagogen und Psychiater. Dank dieser Forschungen steht eine vergleichsweise große Datenmenge über die Auswirkungen des Isolationstanks und sensorische Deprivation zur Verfügung. Der Aufenthalt im Tank wirkt sich danach unter anderm folgendermaßen aus:
Ereignisse, die das natürliche Gleichgewicht des Körpers beziehungsweise die Homöostase stören, bezeichnet man als streßerzeugend. Streß beeinträchtigt, wie bereits erwähnt, unsere Fähigkeit zu klarem Denken. Auch erhöhter Blutdruck verringert eindeutig die geistigen Leistungen. Untersuchungen ergaben, daß Streß eine drastische Reduzierung der Fähigkeit zu kohärentem oder kreativem Denken verursacht und außerdem die Fähigkeit zu Bewegungen, die Übung und Geschick erfordern, stark beeinträchtigt.
Deshalb ist es von ungeheurer Bedeutung, daß ein großer Teil des vorliegenden Materials (insbesondere mehrere Untersuchungen am Medical College of Ohio [106], am Lawrence College [330], am St. Elizabeth's Hospital in Appleton, Wisconsin [29] und an der University of British Columbia [345]) beweist, daß der Schwebezustand im Tank stark streßreduzierende Wirkung hat. Man stellte zum Beispiel fest, daß regelmäßiges <Auftanken> den Puls verlangsamen, außerdem den Sauerstoffverbrauch und die Werte von streßbezogenen Biochemikalien (u. a. Kortisol, ACTH, Laktat und Adrenalin) in der Blutbahn verringern. Die Untersuchungen zeigen, daß das Schweben im Tank diese Biochemikalien nicht nur während der Schwebeperiode verringert, sondern daß die Werte auch noch Tage, in manchen Fällen sogar Wochen nach der Tank-Session niedrig bleiben. Anscheinend hat das Schweben im Tank eine vasodilatorische Wirkung - die Blutgefäße und Kapillaren entspannen und erweitern sich. Dadurch reduziert es nicht nur hohen Blutdruck, sondern beschleunigt und vermehrt auch den Blutfluß zu allen Bereichen des Gehirns, also auch die Zufuhr von Sauerstoff und anderen Nährstoffen. Wir können vermuten, daß dieser vermehrte Blutfluß zum Gehirn geistige Funktionen fördert und beim Aufbau neuen Gehirngewebes und der Ernährung der Neuronen hilfreich ist. Ein verstärkter Blutfluß ist auch wesentlich für die Proteinsynthese. Da die neuesten Forschungen der Neurologie ergeben haben, daß die Gedächtnisbildung von der Proteinsynthese im Gehirn abhängt, dürfen wir auch vermuten, daß der Blutanreicherungseffekt des Schwebens auch die Bildung von Erinnerungen begünstigt.
Wir alle sind fähig, gewisse Streßmengen auszuhalten, der Punkt jedoch, an dem wir den Streß nicht mehr ertragen können, ist bei jedem Menschen verschieden. In den Worten des Biochemikers Philip Applewhite von der Yale University: «Das Gehirnprogramm des Hypothalamus, das Streß erkennt, wenn er durch die Nerven eintrifft, ist sicher ein Grund für diese Variationsbreite. Manche Menschen können sich schon gestreßt fühlen, wenn ihnen fast nichts geschehen ist; sie haben eine niedrige Streßtoleranz. Bei anderen wird womöglich wesentlich mehr Streß zugeführt werden müssen, bevor der Hypothalamus ihn als solchen erkennt; diese Personen haben eine hohe Streßtoleranz.» [8] Der Hypothalamus wirkt als homöostatischer Mechanismus, indem er dem Körper hilft, bei Streß im Gleichgewicht zu bleiben. Bei manchen Menschen ist der homöostatische Mechanismus wesentlich empfindlicher für Streß, das heißt, bei manchen Menschen ist der Sollwert des homöostatischen Mechanismus niedriger.
Im Lichte dieser Tatsachen ist es von Bedeutung, daß die Untersuchungen des Neuroendokrinologen John Turner und des Psychologen Tom Fine vom Medical College of Ohio darauf hindeuten, daß das Schweben im Tank nicht nur die Werte der streßbezogenen Chemikalien signifikant reduziert, sondern auch mit den Worten von Turner und Fine eine stark «anhaltende Wirkung» hat. Das heißt, die Verringerung der streßbezogenen Biochemikalien hielt noch viele Tage nach dem letzten Schweben an. Dies führte die beiden Wissenschaftler zu dem Schluß, daß das Schweben geeignet ist, «die Sollwerte des endokrinen homöostatischen Mechanismus zu ändern, so daß der Mensch einen niedrigeren Adrenalin-Aktivierungs-Zustand erleben würde. Dies würde im wesentlichen mit einem höheren Grad von Entspannung einhergehen.» [358]
Das ist wirklich verblüffend, denn es bedeutet, daß das Schweben nicht nur vorübergehend wohltuend wirkt, sondern den Stoffwechsel ändert (beziehungsweise den homöostatischen Sollwert) und damit im wesentlichen die Kampf- oder Flucht-Reaktion dämpft. Wenn man dann unter einem starken Druck steht, der früher die Fähigkeit zu klarem Denken und körperlicher Leistung empfindlich gestört hätte, wird der Druck nach dem Aufenthalt im Tank weniger streßerzeugend wirken. Das heißt, das Schweben ist ein Weg zur Erhöhung der Streßtoleranz.
Wir alle wissen instinktiv, daß geistige Spitzenleistungen aus Entspannung heraus entstehen. Bei Beschreibungen von Gipfelaugenblicken geistiger Klarheit und kreativer Eingebungen liegt der Akzent auf Mühelosigkeit und Flüssigkeit: Probleme, über denen wir Monate gegrübelt haben, lösen sich plötzlich in einem Augenblick des Sich-Gehen-Lassens auf. Dann sagt man: Warum habe ich das nicht vorher gesehen - es ist ja so einfach! Ein Mensch aber, der sich geistig abmüht, bietet immer ein Bild muskulärer Verspannung - verkrümmt windet er sich auf seinem Stuhl, das Gesicht zu einer gequälten Grimasse verzogen. Außerdem zeigen, wie wir gesehen haben, Untersuchungen zum <Lernen in der Dämmerung> oder <Superlearning>, daß wir in entspanntem Zustand am besten neue Informationen verarbeiten und klar denken können.
Aber eine richtige Entspannung ist nicht einfach zu erreichen. Entspannungstechniken wie progressive Entspannung, Autogenes Training und Meditation erfordern Zeit und Disziplin, und sind dabei ohne jede Erfolgsgarantie. Viele Experten meinen heute, daß sogar die meisten von uns nie im Leben vollkommene Entspannung erfahren haben. Also haben wir keinen echten Begriff davon, wie sich Entspannung anfühlt, und keine Vorstellung, wie man den Körper in diesen Zustand bringen könnte.
In der warmen Epsomer Salzlösung des Isolationstanks aber entfalten sich die Muskeln, befreit vom Gewicht der Schwerkraft, wie chinesische Papierblumen im Wasser und werden weich und flexibel. Bei den Untersuchungen wurden mehrfach Elektromyogramme von Personen erstellt, die im Schwebetank lagen, und mit denen von Menschen verglichen, die sich nicht im Tank befanden, sondern sich nur durch verschiedene Techniken zu entspannen suchten. Jede dieser Studien ergab, daß die Menschen im Tank sich wesentlich tiefer entspannten als die Gruppen, die nicht im Tank waren. Bedeutsamerweise blieb diese Reduzierung der Anspannung, wie eine Studie zeigte, bis zu drei Wochen nach dem Aufenthalt im Tank erhalten.
In der Tat spricht das gesamte Beweismaterial dafür, daß das Schweben im Tank aktiv und automatisch das Gegenteil zur Kampf-oder-Flucht-Reaktion auslöst: die Entspannungsreaktion. Diese reflektorische Reaktion geht einher mit einer Verlangsamung des Herzschlags, Verringerung des Blutdrucks, Veränderungen der Gehirnwellen-Tätigkeit, Muskelentspannung, vermindertem Sauerstoffverbrauch, geringeren Werten von streßbezogenen Biochemikalien und vermehrter Sekretion von Biochemikalien, die den Körper mit einem
Gefühl von Wohlbefinden, Freude, Sicherheit und geistiger Klarheit erfüllen. Wenn bei der Kampf-oder-Flucht-Reaktion der Akzent auf Energieverbrauch und Aktivität liegt, so liegt er bei der Entspannungsreaktion auf Energieeinsparung und Denken. Alles deutet darauf hin, daß beim Schweben diese gesundheitsfördernde Reaktion mühelos eintritt. Mit den Worten von Fine und Turner (Medical College of Ohio): «Diese [anderen Entspannungs-]Techniken lassen das Individuum Entspannung herbeiführen, indem es eine interne Strategie anwendet, mal mit, mal ohne äußeres Feedback zur Überprüfung des Entspannungserfolges. Im Gegensatz dazu benutzt die Entspannungstechnik [im Isolationstank] eine bestimmte Umgebung, um Entspannung herbeizuführen, wobei das Individuum den Vorgang passiv erlebt . . . Die kontrollierten wiederholten Erfahrungen der durch diesen [Tank] herbeigeführten mühelosen passiven Entspannung könnten jenen anderen Methoden überlegen sein, weil man sich dort mit der Methode von Versuch und Irrtum dem Zustand der Tiefenentspannung nähert.» [106]
Bei ihren bis heute andauernden Forschungen zu den psychobiologischen Wirkungen des Tanks stellten Fine und Turner fest, daß eine Sitzung im Tank stark schmerzlindernd wirkt und ein Gefühl leichter Euphorie hervorruft. Sie experimentierten auch mit Personen, die unter starken chronischen Schmerzen litten. Die Ergebnisse waren faszinierend. Fine berichtete mir: «Praktisch alle unsere chronischen Schmerzpatienten haben gesagt, sie hätten während des Schwebens ihren Schmerz vergessen.» Worin konnte dieser schmerzlindernde Mechanismus bestehen? Die Wissenschaftler führten einen Doppelblindversuch durch, bei dem eine Gruppe den Endorphin-Antagonisten Naloxon erhielt. Die andere Gruppe erhielt nur ein Placebo. Bei der Untersuchung erwies sich, daß die Versuchspersonen zu 100 Prozent beurteilen konnten, ob sie den Endorphinblocker bekommen hatten oder nicht. Dieses Ergebnis legt nahe, daß das Schweben den Körper zur Freisetzung von Endorphinen anregt, die der Grund für Schmerzreduktion und euphorische Gefühle sind. Wie wir bereits gesehen haben, stehen Endorphine in enger Beziehung zu einer Vielzahl von Gehirn-Geist-Funktionen - darunter Gedächtnisleistung und Lernen. Möglicherweise könnten erhöhte Endorphinwerte dazu beitragen, den Tankbenutzer in einen idealen Lernzustand zu versetzen, indem unser natürliches Belohnungssystem aktiviert wird.
ERHÖHTE PRODUKTION VON THETA-WELLEN
Die Benutzer des Tanks haben eine erhöhte Produktion von Theta-Wellen. Das liegt zum Teil an der tiefen Entspannung, die beim Schweben eintritt. Eine Untersuchung von Gary S. Stern (University of Colorado in Denver) ergab, daß «die signifikante Wirkung des Schwebens. . . darauf hindeutet, daß bei Menschen, die sich eine Stunde lang im Tank befanden, die Theta-Werte deutlich steigen.» [334] Der Theta-Zustand ist, wie unter anderm die Studien des Biofeedback-Experten Thomas Budzynski (University of Colorado Medical Center) zeigen, ein <Dämmer>-Zustand, in dem das Gehirn «die Eigenschaft unkritischen Akzeptierens verbalen Materials oder jedes anderen Materials hat, das es verarbeiten kann. Was wäre, wenn man einen Menschen in diesem Zustand erhalten könnte, ohne daß er einschläft?» fragt Budzynski. «Ich glaube, der Isolationstank ist ein ideales Mittel, um das zu erreichen. »
VERBESSERTER ZUGANG ZUR RECHTEN HEMISPHÄRE
Die Forschungsergebnisse deuten auch darauf hin, daß das Schweben die Funktion der rechten Gehirnhälfte oder den Zugang des Benutzers zur rechten Gehirnhälfte verbessert. Thomas Budzynski beschäftigt sich mit EEG-Messungen der Hemisphären unter wechselnden Bedingungen. Er bestätigt. «Im Schwebezustand werden die Fähigkeiten der linken Hemisphäre teilweise außer Kraft gesetzt, und die rechte Gehirnhälfte übernimmt die Vorherrschaft.» Oder, wie Budzynski salopp sagt: «Die rechte Gehirnhälfte stürmt im Tank nach vorn und schreit: Hurra, da bin ich!» Zusammen mit vielen anderen Gehirnforschern nimmt Budzynski an, daß dieser verbesserte Zugang zu den Fähigkeiten der rechten Hemisphäre zu erhöhten Lernleistungen führen kann. Er sagt: «Wenn man zur rechten Gehirnhälfte der Menschen Zugang findet und sie in diesem Zustand hält, dann läJ3t sich wirklich sehr viel in sehr kurzer Zeit erreichen. Diesen Punkt erreichen wir gleichermaßen mit der Schwebetechnik, dem <Lernen in der Dämmerung>, subliminalen Anweisungen und Hypnose.» [591
ERHÖHTE AUFNAHMEBEREITSCHAFT FÜR SUGGESTIONEN
Das Beweismaterial, das dafür spricht, daß der Isolationstank zu einer enormen Erhöhung der Empfänglichkeit für Suggestionen führt, ist überwältigend. Jede Information, die man im Tank aufnimmt, wird voll und ganz akzeptiert - sei es in der Form von Autosuggestionen, die man sich leise selber gibt, oder in Form von auditiven oder visuellen Informationen, die einem während des Schwebens von außen zugeführt werden. Dies ist zum Teil auf die weiter oben beschriebenen veränderten Gehirnzustände zurückzuführen.
Eine andere Erklärung beruht auf dem <Reizhunger>-Effekt - bei Abwesenheit externer Reize <dreht> das RAS den Lautstärkeregler im Gehirn <auf>, und das Gehirn verspürt <Hunger> nach Informationen. Wenn dann eine Botschaft eintrifft, akzeptiert es sie vollständig. Eine andere Erklärung wäre, daß der für die Realitätsprüfung zuständige Gehirnbereich, der eintreffende Informationen kritisch bewertet, in der reizeingeschränkten Umgebung des Tanks abgeschaltet wird, so daß Botschaften die normalen Zensur- und Filter-Instanzen überwinden und direkt ins Unterbewußte eindringen können. Dr. Lloyd Glauber ist ein New Yorker Therapeut mit langjähriger Erfahrung in der Anwendung von Hypnose. Mittlerweile arbeitet er mit Isolationstanks mit eingebauten Lautsprechern. Damit trainiert er Sportler und ändert Verhaltensmuster. Er sagte mir: «Der Isolationstank ist wesentlich wirksamer als Hypnose - einfach nur schweben, ohne daß eine Trance herbeigeführt wird, macht den Menschen wesentlich empfänglicher für Suggestionen als Hypnose.» Untersuchungen an der University of British Columbia und anderswo lassen vermuten, daß diese im Tank aufgenommenen Suggestionen einen einzigartigen Langzeiteffekt haben und ihre Kraft über Monate, wenn nicht gar Jahre behalten.
VVISUALIATIONENVVIISUALISATIONEN
Nach wissenschaftlichen Schätzungen werden weit über 90 Prozent der Gehirnenergie zur Verarbeitung externer Reize verbraucht. Im Tank ist der Geist von äußerlichen Verantwortungen befreit und wendet sich nach innen. Feine geistige Vorgänge, die normalerweise im Lärm der äußeren Reize untergehen, gewinnen eine bemerkenswerte Kraft und Klarheit. Einer dieser Vorgänge ist das innere Bilderleben.
Die Fähigkeit zum Erschaffen und Manipulieren innerer Bilder, auch Visualisation genannt, ist eine der wirksamsten Lerntechniken, die uns zur Verfügung stehen. Sie erhöht unsere Problemlösungsfähigkeiten, indem wir die Probleme in neuem Licht <sehen>. Sie verbessert die Erinnerungsfähigkeit, indem sie nonvisuelle Informationen mit visuellen Anhaltspunkten verknüpft. Und - vielleicht am wichtigsten - sie versetzt uns in die Lage, Ereignisse geistig im voraus lebhaft zu erleben oder zu proben. Viele Studien haben erwiesen, daß ein Bild, das man sich lebhaft im Geiste vorstellt, vom Unbewußten und vom Körper tendenziell als wirklich wahrgenommen wird. Wenn man sich selbst visualisiert, während man gerade geschickt eine Aufgabe ausführt (zum Beispiel eine Rede hält, einen perfekten Rückhandball schlägt oder ein Problem löst), kann das genauso wirksam sein wie die tatsächliche Durchführung der Tätigkeit: Geistige Bilder erzeugen echte körperliche und geistige Wirkungen. Das Problem dabei: Den meisten unter uns fällt es schwer, die Ausführung einer Aufgabe mit so starker Konzentration und Klarheit zu visualisieren, daß der Körper überzeugt ist, daß der Vorgang wirklich stattfindet.
Im Tank jedoch ist man befreit von allen Ablenkungen. Dr. Glauberman zufolge ist «die Visualisationsfähigkeit im Schwebezustand wesentlich stärker, stärker sogar als in hypnotischer Trance. Das Bilderleben erscheint echter, mehr wie ein Traum. Man befindet sich dabei überwiegend tatsächlich in der Erfahrung.»
Dr. Rod Borrie ist ein kognitiver Therapeut aus New York, der seine Klienten im Tank durch Visualisationen führt, um ihnen zu verbesserten Leistungen bei Lernen, Sport und Beruf zu verhelfen oder um Verhaltensmuster wie Rauchen und übermäßiges Essen zu verändern. Er erklärt die Wirkung mit Begriffen aus der Informationstheorie. «Das Gehirn», sagt er, «kann nur etwa sieben Informationseinheiten auf einmal verarbeiten. Komplexe Bewegungen, wie sie bei manchen Sportarten erforderlich sind, bestehen aus weit mehr als sieben gleichzeitigen Informationseinheiten. Durch Visualisation vereint man all diese Informationen zu einem Bündel - als ob man ein Bündel aus zufällig gewählten Buchstaben schnüren würde. Einzeln könnte man sie unmöglich behalten, als Bündel aber bilden sie ein Wort, an das man sich leicht erinnern kann. Im Schwebezustand fügt man viele Tätigkeiten zu einem Gesamtbild zusammen. Wenn dann der Zeitpunkt der wirklichen Anwendung kommt, <erinnert, man sich an den gesamten Vorgang in Form eines einzigen Bildes.»
Als Zeuge dafür, wie echt diese <Erinnerung> sein kann, steht der Speerwerfer David Schmeltzer vom New York Pioneer Track Club, der die Visualisationen im Tank einsetzt, um sich selbst beim perfekten Speerwurf zu <beobachten>. Vor kurzem hat er seine persönliche Bestleistung um mehr als einen Meter übertroffen. Er erinnert sich: «Als ich den Speer an jenem Tag losfliegen ließ, war es wie ein Deja-Vu Erlebnis. Im Augenblick des Loslassens sagte ich: Ich kenne diesen Wurf, ich hab diesen Speer schon einmal geworfen.«
Die Macht der Prävisualisation ist nicht auf relativ kurze Bewegungsabläufe oder Tätigkeiten beschränkt. Sie läßt sich zur geistigen Generalprobe oder zur Vorausprogrammierung von enorm komplexen Situationen mit praktisch unbegrenzten Variablen einsetzen. Zum Beispiel erzählte mir Bob Said, ein früherer Rennfahrer, der das Team der US-Bobfahrer bei zwei olympischen Spielen und fünf Weltmeisterschaften leitete, wie er deutlich jeden Meter der Bobbahn visualisierte, als er sich allmorgendlich im Schwebetank auf die Winterspiele 1984 vorbereitete. «Im Schlitten», sagte er, «weiß man zwar, wie man auf eine Kurve zufahren will, aber plötzlich gerät man dann doch aus der Bahn. Also versucht man, all die verschiedenen Möglichkeiten, auf eine Kurve zuzufahren, zu visualisieren, so daß man bereits bei der Annäherung an die Kurve darauf programmiert ist, wie man aus ihr herausfährt.» Im Sport müssen wir, wie in vielen Situationen des Lebens, schnell, fast automatisch handeln. Allzuoft werden wir dabei plötzlich von der Notwendigkeit des Innehaltens und Nachdenkens behindert. Said fühlte sich durch das >Muskelgedächtnis>, das sich durch wiederholte Visualisation entwickelt hat, von dieser Notwendigkeit befreit: «Wenn du im Schlitten eine Reaktion erst überdenken mußt, dann bist du zu langsam, selbst wenn du die schnellsten Reaktionen der Welt hast. Je <cleaner> du bist, desto schneller bist du auch. Ich habe durch die Erfahrungen im Tank das Gefühl, das meine Sinne schärfer funktionieren. Und zwar nicht in dem Sinn, daß sie nun genauer funktionieren, sondern daß meine Fähigkeiten einfach so zur Geltung kommen, wie sie es optimalerweise sollten. Der überflüssige Müll ist weg.»
Borrie hat zusammen mit Glauberman eine Reihe von Spitzenathleten mit Visualisationen im Tank trainiert. Er sagt: «Jeder Sportler, mit dem wir gearbeitet haben, hat im Wettkampf einen neuen persönlichen Rekord aufgestellt. Und sie stellen immer neue Rekorde auf. Wir haben da wirklich ein sehr wirksames Instrument in der Hand.»
«Wirklich phänomenal», pflichtet ihm Glauberman bei, «dabei stecken wir damit noch in den Kinderschuhen.» Beide betonen, daß solches Lernen durch Visualisationen nicht auf sportliche Leistungen beschränkt ist - geistige Generalproben, wie sie Said beschrieben hat, können ebenso wirksam in komplexon Situationen sein - wenn man eine chirurgische Operation durchzuführen hat, eine Rede oder ein Verkaufsgespräch halten muß oder eine Rolle in einem Theaterstück oder Ballett zu spielen hat.
VERBESSERTE LERNLEISTUNG UND KREATIVITÄT
Die enge Beziehung zwischen Lernen und Visualisation wird durch eine neuere großangelegte und nach strengen Kriterien durchgeführte Studie an der Texas A&M-Universität bekräftigt. Dort testete der Chemieprofessor Thomas Taylor zwei Gruppen auf Lern- und Denkfähigkeit. Die eine Gruppe hörte sich einen bestimmten Unterrichtsstoff an, während sie sich in einem dunklen Raum entspannte, die andere befand sich dabei im Tank. Dann schloß man die Gruppen an ein EEG an und überprüfte, wieviel sie gelernt hatten Das Lernen wurde auf drei Ebenen mit wachsendem Schwierigkeitsgrad ausgewertet: 1. Einfache Erinnerungstests, also Routinelernen; 2. die Fähigkeit, die Informationen auf neue Situationen und Probleme anzuwenden; 3. <synthetisches Denken>, die Fähigkeit, die gelernten Gedanken in neuer und kreativer Weise zu verknüpfen.
Die Ergebnisse waren verblüffend. Die Tank-Gruppe erzielte auf jeder Ebene deutlich bessere Ergebnise als die Kontrollgruppe. Und -noch bedeutsamer - mit wachsender Schwierigkeit und Komplexität der Testaufgaben stieg die Überlegenheit der Tankbenutzer noch einmal steil an. Taylor dazu: «Es besteht kein Zweifel, daß die [Tank]Gruppe mehr gelernt hat. Am wichtigsten ist aber der Bereich, in dem sie lernte. Die Personen, die im Tank schwebten, lernten auf einer anderen kognitiven Stufe. Die Ausweitungen zeigen, daß der Leistungsunterschied zwischen den beiden Gruppen umso größer wird, je schwieriger die Lernaufgaben waren.«
Interessanterweise hatte Taylor seine Versuchspersonen vorher darauf getestet, ob sie eher bildlich oder eher verbal dachten. Das Ergebnis: «Wenn man die Testergebnisse von Personen, die eher bildlich denken, mit denen eher begrifflich (also nichtvisuell) denkender Menschen vergleicht, ist in der visuellen Gruppe ein größerer Lernerfolg als in der nichtvisuellen erkennbar. » Zwar war die Anzahl der eher bildlich Denkenden in beiden Gruppen gleich hoch, Taylor stellte jedoch fest, daß die Tank-Gruppe anscheinend besser visualisierte als die Kontrollgruppe. Die EEGs ergaben, daß die Personen, die im Tank gewesen waren, auch deutlich größere Mengen an Theta-Wellen erzeugten, die ja in Zusammenhang mit starkem geistigen Bilderleben auftreten. Zusammengefaßt läßt sich sagen: Visualisation wirkt lernfördernd auf allen Ebenen; der Aufenthalt im Isolationstank verbessert die Visualisationsfähigkeit; die Verbesserung der Lernfähigkeit durch das Schweben steigt mit zunehmender Komplexität und Schwierigkeit des gelernten Materials, der Aufenthalt im Tank läßt die Fähigkeit zu kreativem und synthetischem Denken stark ansteigen. [357] Das Schweben im Tank scheint geistige Funktionen zu fördern und Pfade der Interaktion zwischen Geist und Körper in einem Maße zu öffnen, daß der Forscher Tom Fine vom Medical College of Ohio es «ein bahnbrechendes Ereignis auf dem Gebiet der Psychobiologie» genannt hat.
DER GEDÄCHTNISTANK - WIE MAN DEN TANK ZU LERNZWECKEN EINSETZT
Untersuchungen wie die erwähnte an der Texas A&M-Universität haben viele Wissenschaftler und Pädagogen davon überzeugt, daß der Tank ein potentiell revolutionäres Werkzeug zur Beschleunigung von Lernvorgängen sein kann. Er wird mittlerweile an Schulen, Universitäten und über 250 <Schwebezentren> überall in den Vereinigten Staaten, Kanada, Europa und Japan eingesetzt. Immer deutlicher zeigt sich durch Forschung und wachsende Beliebtheit des Geräts, daß sich der Tank auf vielseitige Weise zur Verbesserung des Lernerfolgs verwenden läßt.
Die offensichtlichste Anwendungsmethode nutzt direkt die tiefe Entspannung, die Verstärkung der Theta-Wellen, die verbesserte Empfänglichkeit für Suggestionen und die erhöhte Fähigkeit zur Informationsverarbeitung. Dabei wird der Mensch, während er sich im Tank befindet, mit den Informationen versorgt, die gelernt werden sollen. Das kann über einfache Autosuggestionen oder Visualisationen geschehen, wobei der Benutzer selbst die passenden Botschaften oder Bilder wählt - ähnlich wie bei einer normalen Selbsthypnose. Praktisch alle heute hergestellten Schwebetanks sind mit Innenlautsprechern ausgerüstet, so daß der Benutzer die Information, die er aufnehmen will, vorher auf eine Tonbandkassette aufnehmen kann, die abgespielt wird, wenn er im Tank ist. Nach Berichten der Anwender ist diese Methode äußerst erfolgreich - zum Beispiel beim Sprachenlernen, aber auch bei der Vorbereitung auf Examina. Sprachstudenten berichten, daß sie mehrere Hundert neue Worte in einer einzigen einstündigen Sitzung aufnehmen können, wobei die Worte fast hundertprozentig dauerhaft gespeichert werden.
Die meisten Tankhersteller verkaufen mittlerweile auch solche mit eingebauten Videobildschirmen. So daß sich der Benutzer entspannen kann, bis er in einem entsprechend aufnahmebereiten Zustand ist, und dann die Videokassetten mit den zu lernenden, visuellen Informationen anschauen. Am häufigsten werden kommerziell hergestellte Videobänder von Berufssportlern in Bestform verwendet, die dann alle möglichen Sportarten demonstrieren. Auf den Golf- oder Tennisbändern wird zum Beispiel jeder Schlagtypus mehrere Dutzend mal wiederholt, um die visuellen und sensorischen Informationen tiefer einzuprägen. Die Bilder werden durch Klänge zusätzlich verstärkt -der feste Klang eines Schlägers beim Auftreffen auf den Ball oder auch Computermusik, die die fließenden Körperbewegungen elektronisch untermalt. Schwebetank-Forschungen an der Stanford University deuten darauf hin, daß das Beobachten solch vollkommener Leistungen einen Modelleffekt hat, so daß man die Bewegungen in das eigene .Muskelgedächtnisprogramm> übernimmt. Wenn man dann aus dem Tank klettert, hat der Körper das Gefühl der Bewegungen fest in sich aufgenommen. Das Anschauen einer einstündigen Kassette soll dabei ebenso wirksam sein wie viele Stunden Körpertraining.
Viele Sportler haben sich ihre eigenen Bänder angefertigt. Der Footballprofi Rafael Septien, der als Feldtorschütze für die Dallas Cowboys spielt, ist ein Beispiel dafür. Jeden Tag steigt er in den Tank und sieht sich selbst beim Schießen makelloser Feldtore zu. Nach seinen Aussagen ist er mit Hilfe des Tanks zu einem Vollprofi geworden. «Kein Zweifel, der Tank wirkt», sagte er mir. «Man sagt zwar, Übung macht den Meister, aber eigentlich macht nur die vollkommene Übung den Meister. Und das visualisiert man im Tank: das perfekte Training.» Andere Bänder setzen den Modelleffekt in der Ausbildung von Chirurgen, Musikern, Verkaufsvertretern, Schauspielern, Tänzern, Sängern, Künstlern, Lehrern, Wissenschaftlern und Managern ein. Dazu ein Hersteller solcher Übungsbänder: «Durch die jüngsten Fortschritte der neurologischen Wissenschaft, der Computerforschung und der transistorisierten Meßinstrumente ist es heute möglich, auf Videobändern gespeicherte Fertigkeiten elektronisch aufs menschliche Nervensystem zu übertragen.» Die Kombinationsmöglichkeiten von visuellen Informationen und Klang scheinen fast unbegrenzt. Ihre Erforschung steckt noch in den Kinderschuhen.
Zu den am häufigsten erlebten Wirkungen des Schwebens gehören ein Gefühl leichter Euphorie, geistige Klarheit und eine Schärfung der Sinne, die viele Stunden, manchmal sogar Tage nach Verlassen des Tanks anhalten. Erfrischt kehren die Benutzer in die Welt zurück"deautomatisiert>, wie es der Psychologe Arthur Deikman nennt. Die Pforten der Wahrnehmung sind gründlich gereinigt. Als Beispiel für die Verschärfung der Sinne durch den Aufenthalt im Tank bedenke man, daß nach nur einer Minute Dunkelheit die Lichtempfindlichkeit des Auges auf das Zehnfache steigt. Nach nur zwanzig Minuten steigt sie sogar auf das Sechstausendfache. Und nach vierzig Minuten - immer noch weniger Zeit, als die meisten Leute auf eine Tank-Session verwenden - erreichen die Augen die Grenze ihrer Lichtempfindlichkeit und werden etwa 25.000 mal lichtempfindlicher als vor der Erfahrung der Dunkelheit. [214]
Diese Steigerung der geistigen und körperlichen Funktionen machen die Stunden nach dem Aufenthalt im Tank zu einem idealen Zeitpunkt für Lernen jeder Art. Der Geist ist äußerst empfänglich für externe Information, gleichzeitig aber immer noch in einem eher freischwebenden Zustand, der Phantasie und kreatives Denken fördert. Viele Tankbenutzer stellen fest, daß sie gerade in den Stunden nach dem Schweben Problemlösungen finden oder neue Ideen entwickeln. Oft bemerken sie, daß in dieser Zeit Lesen, Studieren, Musikhören etc. besonders lohnen und produktiv sind.
Während ich verschiedene Tankbenutzer interviewte, erwähnte ein Mann ein <merkwürdiges Erlebnis>, das er beim Holländisch-Lernen gehabt hatte. Er war einmal direkt nach der Unterrichtsstunde in den Tank gestiegen. Aus verschiedenen Gründen hatte er in den nächsten Tagen keine Zeit, sich den Unterrichtsstoff noch einmal anzuschauen. Als er aber die nächste Unterrichtsstunde besuchte, stellte er fest, daß er sich praktisch lückenlos an die vorangegangene Stunde erinnern konnte. Er hatte das Gefühl, daß das Schweben irgendwie unbewußt die Information im Gehirn gefestigt hatte. War so etwas möglich?
Kurze Zeit später las ich mehrere Berichte über sensorische Deprivation. Dabei ging es unter anderem um eine Untersuchung vom Anfang der sechziger Jahre, bei der die Forscher zwei Gruppen von Versuchspersonen lange Passagen aus Tolstois Krieg und Frieden vorgelesen hatten. Sie sagten den Versuchspersonen nicht, daß es darum ginge, diese Passagen zu behalten; es war nur eins in einer Reihe von Ereignissen, die die Versuchspersonen vor dem eigentlichen Experiment erlebten. Sie erwarteten also keine erneute Überprüfung. Die Kontrollgruppe ging anschließend ihren normalen Alltagsbeschäftigungen nach, die andere Gruppe verbrachte eine gewisse Zeit in einer sensorischen Deprivationskammer. Nach vierundzwanzig Stunden wurden die Gruppen erneut getestet. Dabei fanden die Forscher, daß die speziell auf die vorgelesenen Passagen bezogenen Erinnerungsleistungen bei der Kontrollgruppe deutlich zurückgegangen waren, während bei der sensorisch deprivierten Gruppe kein Rückgang der Erinnerungsleistung feststellbar war. Die sensorisch deprivierte Gruppe erinnerte sich nach vierundzwanzig Stunden sogar an mehr Einzelheiten als direkt nach dem Lesen! Die Forscher sprachen mit den Versuchspersonen und erfuhren, daß keine von ihnen einen erneuten Test erwartet hatte. Nur ein Mensch berichtete, daß er in der Zwischenzeit an die Passage aus Krieg und Frieden gedacht hätte. Die Forscher nannten dieses Phänomen den <Erinnerungseffekt>. Durch den Zustand der sensorischen Deprivation kam ein Gedächtniszuwachs zustande.
Eine neuere Versuchsreihe hat mehr Licht auf diesen merkwürdigen Erinnerungseffekt geworfen. Man gab Versuchspersonen bestimmte Informationen, dann trank eine Gruppe Alkohol - nicht genug, um betrunken zu werden, aber doch genug, um in einen entspannten und gehobenen Zustand zu gelangen. Die Kontrollgruppe konsumierte keinen Alkohol. Als man später beide Gruppen erneut testete, stellte sich heraus, daß die alkoholisierte Gruppe sich bedeutend besser an die Information erinnern konnte.
Wie ist das zu erklären? Die Wissenschaftler sind sich mittlerweile einig, daß es mindestens zwei Arten von Gedächtnis gibt, allgemein als Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis bekannt. Beim Autofahren sind wir uns zum Beispiel bewußt, wieviele Autos hinter uns fahren und wie nah sie auffahren. Diese Information wird im Kurzzeitgedächtnis gespeichert - zehn Kilometer weiter haben wir sie vergessen. Wenn wir eine Telefonnummer nachschauen und sie im Gedächtnis behalten, bis wir die Wählscheibe bedient haben, arbeitet ebenfalls das Kurzzeitgedächtnis. Das Kurzzeitgedächtnis ist für Informationen zuständig, die wir nur zeitweise im Kopf behalten müssen, dann aber schnell vergessen dürfen. Andererseits gibt es Informationen, die womöglich ebenso flüchtig wie die Telefonnummer im Bewußtsein auftauchen, dann aber doch so dauerhaft werden, daß sie noch ein Menschenleben später mit absoluter Klarheit erinnert werden können -etwa ein kurzes Ereignis, das man als Kind beobachtet hat und noch neunzig Jahre später im Gedächtnis hat. Diese Information ist dann ins Langzeitgedächtnis übergegangen.
Untersuchungen mit Drogen, die die Proteinsynthese im Gehirn hemmen, haben gezeigt, daß kurzfristige elektrochemische Veränderungen im Gehirn für das Kurzzeitgedächtnis stehen, während die Proteinsynthese im Gehirn für das Langzeitgedächtnis notwendig ist. Gibt man Menschen kurz, nachdem sie etwas gelernt haben, Drogen, die die Proteinsynthese verhindern, wird die Information vergessen -das heißt, sie erreicht niemals das Langzeitgedächtnis. Gibt man diese Drogen aber erst eine Stunde nach dem Lernvorgang, so wird die Information nicht vergessen, ist also bereits Teil des Langzeitgedächtnis geworden. Informationen gehen in den ersten ein, zwei Stunden nach ihrem Empfang ins Langzeitgedächtnis über - gleichzeitig kommt es zur Proteinsynthese im Gehirn.
Eine Art der Proteinsynthese im Gehirn ist das strukturelle Wachstum: Dendritenwachstum und Bildung neuer dendritischer Äste und Synapsen. Eine Studie von William Greenough (University of Illinois) hat gezeigt, daß bei Ratten, die man auf das Durchqueren eines Labyrinths trainiert, direkt nach dem Training dendritisches Wachstum auftritt. Das heißt, Gehirnwachstum ist eine spezifische Reaktion auf Lernen.
Lernen und Langzeitgedächtnis geschehen nur dann, wenn im Gehirn die Proteinsynthese stattfindet. Einerseits fördert das Gehirnwachstum Lernen und Gedächtnis, andererseits führen Lernen und Gedächtnis zu Gehirnwachstum. Gedächtnis und Lernen lassen sich nicht von physischen Veränderungen im Gehirn trennen. Wir sehen jetzt, daß das physische Wachstum des Gehirns im wesentlichen mit dem Vorgang des Lernens und dem Wachstum der Erinnerungsspeicher identisch ist. Um mit Prigogines Begriffen zu sprechen: Wenn Energie in Form neuer Informationen oder Erfahrungen in das Gehirn eintritt, kann sie nur durch eine tatsächliche Veränderung in Struktur und Organisation des Systems verarbeitet werden, also durch Gehirnwachstum.
Wenn etwas geschieht, das dieses Gehirnwachstum aufhält, etwa eine Droge verabreicht wird, die die Proteinsynthese hemmt, dann verschwindet die neu ins System eingetretene Information wieder, sie wird vergessen. Ist aber ausreichend Zeit für die Proteinsynthese vorhanden, dann kommt es zu dauerhaften Veränderungen im Gehirn, und die Information wird Teil des Langzeitgedächtnisses.
Was also den Erinnerungseffekt angeht, den die Forscher bei sensorischer Deprivation ausmachten, so ist er vermutlich darauf zurückzuführen, daß die sensorisch deprivierte Gruppe nach Aufnahme der Information eine Zeitlang von weiteren Sinneswahrnehmungen abgeschnitten war, so daß keine weiteren Reize mit der Information um die Aufnahme ins Langzeitgedächtnis konkurrierten. Ähnlich bei der alkoholisierten Gruppe: Diese Personen verschlossen in leicht angeheitertem Zustand das Gehirn für neue Information, so daß die vor dem Alkoholgenuß empfangenen Informationen genug Zeit hatten, sich zu festigen.
Es erscheint offensichtlich, daß Tankbenutzer sehr von diesem Erinnerungseffekt profitieren können. Wenn sie eine Information ins Langzeitgedächtnis übertragen wollen, müssen sie sich nur unmittelbar vor dem Einstieg in den Tank damit befassen. Oder sie sollte über Video- oder Audiokassette im Frühstadium des Schwebens zugeführt werden. Die darauf folgende Periode der sensorischen Einschränkung - im Idealfall mindestens eine Stunde - sollte genug Zeit für die notwendige Proteinsynthese im Gehirn lassen, so daß die Information ins Langzeitgedächtnis übergeht.
Eine Reihe von Untersuchungen am Isolationstank haben ergeben, daß das Schweben einen vasodilatorischen Effekt hat, indem es die winzigen Kapillaren entspannt, die Blut in und durch das Gehirn tragen. Daraus ergibt sich eine bessere Blutversorgung der einzelnen Neuronen. Da die für die Proteinsynthese wesentlichen Nährstoffe im Blut transportiert werden, kann eine erhöhte Blutzufuhr im Gehirn der Proteinsynthese nur förderlich sein. Dazu Dr. Arbold Scheibel, Professor der Medizin an der University of California Los Angeles und Experte für Gehirnwachstum: «Es gibt einen Grundsatz, der besagt: Kein Neuron ist gesünder als die Kapillare, die es versorgt. Und wir hegen die starke Vermutung, daß Erhaltung oder langsamer Niedergang des Gehirns wesentlich mit der kapillaren Blutzufuhr zusammenhängen.» [49] Die während des Schwebens eintretende Gefäßerweiterung fördert also das Gehirnwachstum. Das bedeutet, daß das Schweben durch Verbesserung der Blutzufuhr zum Gehirn Lernen und die Bildung von Langzeiterinnerungen fördern kann.
Auszug aus der deutschsprachigen Ausgabe des Werkes MEGA BRAIN von Michael Hutchison
Erhältlich bei Spinx Medien Verlag, Basel : ISBN 3-85914-223-X